
Faszien und Schmerzmedizin
Faszien, per Definition eine »Weichgewebekomponente des Bindegewebesystems, die den
ganzen menschlichen Körper durchdringt«, sind im Grunde ein grosses Netzwerk, das als
Teil des körperweiten Spannungsübertragungssystems gilt. Die Faszien spielen eine
Schlüsselrolle in der Dynamik des Bewegungsapparats: Dank ihrer Fähigkeit, sich spontan
an Belastung oder Dehnung anzupassen , tragen sie entscheidend zu Stabilität und
Beweglichkeit bei. Der Anpassungsprozess beruht im Wesentlichen auf Stimulus und
Antwort. Dieser Vorgang der Umwandlung des Reizes einer mechanischen Belastung in eine
Reaktion auf der Zellebene nennt man Mechanotransduktion. Die eigentliche strukturelle
Veränderung erfolgt als Ergebnis dieses Umwandlungsvorgangs und findet in der Praxis
durch Anwendung einer manuellen Kompressionslast , durch Bewegung oder Dehnung statt.
Die denkbare Auswirkungen dieses Prozesses auf die Gesundheit (auch auf psychisches
Wohlbefinden) sind enorm. Die Rolle der gesunden Faszien für die Behandlung der
altersbedingten Veränderungen des Körpers und damit verbundenen muskuloskelettalen
Schmerzbeschwerden lässt sich nicht genug betonen.
Bis etwa zum 25. Lebensjahr bleiben die Faszien natürlich elastisch, selbst wenn man nicht
gerade sportlich ist. Nur Hochleistungssportler, besonders von Disziplinen mit
Kraftförderung, müssen sowohl als Vorbeugung von Verletzungen als auch zur Steigerung
der körperlichen Stärke die Faszien regelmässig trainieren.
Ab dem 40.Lebensjahr beginnen wir die elastischen Elemente des Faszien Systems zu
verlieren. Ohne gezieltes tägliches Faszientraining kann man den Deelastifizierungsprozess
nicht aufhalten; die ersten muskuloskelettalen Schmerzbeschwerden beginnen. Es wird oft
über «Abnutzungserscheinungen» im muskuloskelettalen System gesprochen. Sehnen- und
Tendonsentzündungen häufen sich. Sehnenrisse treten häufiger auf, besonders nach
Anstrengung der Muskeln ohne Aufwärmung oder Vorbereitunsgsphase wie zB. beim
Skiausflug, Grümpelturnier, bei Beginn der Aktivferien und Garten- oder Bauarbeiten. Diese
Verletzungen sind die Folge eines zunehmenden Ungleichgewichtes zwischen den noch
jungen, starken Muskeln und den nicht mehr entsprechend elastischen Faszien.
Zu Beschwerden mit dem gleichen Hintergrund gehören die allgegenwärtigen
«Rückenschmerzen», sowie auch Schulter-, Nacken- und Kopfschmerzen. Die Wirbelsäule
ist grob gesehen ein körpertragendes, komplexes Organ, bestehend aus vielen
muskuloskelettalen Teilen. Die Faszienbahnen der oberen Extremitäten und damit die
faszialen Elemente der Nacken- und Halsmuskulatur versagen normalerweise als erstes. An
den Beinen sind die Knieschmerzen die Vorboten der beginnenden faszialen
Deelastifizierung; nicht zuletzt wegen der seit Jahren andauernden Fehlhaltung infolge
häufigen Sitzens. (Manche Schmerztherapeuten gar behaupten provokativ, dass sitzen
gesundheitsschädigender als rauchen sei).
In dieser Altersgruppe ist ein Faszientraining als eine prophylaktische Massnahme zwar
wertvoll aber noch nicht unabdinglich.
Ab dem 60. Lebensjahr wird tägliches Faszien Training zur Pflicht, ähnlich wie das
Zähneputzen. Nicht gepflegte Zähne gehen mit allen bekannten Konsequenzen verloren.
Ebenso verhält es sich mit den Faszien: nicht elastische Faszien belasten die Gelenke, wie
etwa Karies die Zähne und führen damit zur übermässigen Abnutzung der Gelenke (also zur
Arthrose – nicht zu verwechseln mit der Arthritis). Die Folgen sind Schmerzbeschwerden,
Einschränkung der Mobilität und noch mehr Schmerzen. Verringerte Beweglichkeit
verschlechtert nicht nur die Lebensqualität, sondern trägt auch zur Entstehung unzähliger
Krankheiten im Alter bei.
Dr. med. Dariusz Kwiatkowski